Tora no maki - Der Tiger als Symbol des Shotokan-Stils

Shoto bedeudet "Pinienrauschen" - mit diesem Pseudonym unterzeichnete Funakoshi-sensei seine Kalligrafien

© 2002 A. Krause

Letzte Aktualisierung: Sonntag, 12. Januar 2003

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In den Kampfkünsten ist die Praxis des „stillen Sitzens“ auf den Knien (jap.: Seiza) weit verbreitet. Im Karate-Dõ ist diese Übung als „Mokusõ“ bekannt, was wörtlich übersetzt „Ruhiges Denken“ bedeutet. Dem Sinn nach sollte es besser mit „das Denken beruhigen“ übersetzt werden. Sie wird zu Anfang und Ende jeder Übungseinheit durchgeführt. Ihren Ursprung hat sie im Zen-Buddhismus. Im Mittelpunkt der religiösen Praxis dieser buddhistischen Schulen steht die Übung der Versenkung (Zazen). In Japan und China hat der Geist des Zen lange Zeit die Kampfkünste beeinflusst und geprägt[1].
Das im Karate- verwandte „Mokusõ“ stammt dann auch von dem Ausdruck „Mokushõ-Zen“ ab, der soviel bedeutet wie „das Zen der schweigenden Erleuchtung“[2].
Der tatsächliche Ursprung und Sinn dieser Übung ist vielen (oder vielleicht den meisten?) Karatekas leider nicht bewusst. Vielen denken „Mokusõ“ bedeute „Augen zu“. Vielmehr stehen die Meister des Zen-Buddhismus dem Schließen der Augen ablehnend gegenüber.
Einen Leitfaden für die Übung des Mokusõ sucht man in Karate-(Lehr-)Büchern leider vergeblich. Der im folgenden übersetzte Artikel ist ursprünglich für Praktizierende des Iai-,  in einem Internet-Newsletter 1991 unter dem Titel „The practice of seiza“ von einem mir nicht bekannten Autor veröffentlicht worden. Ohne esoterischen Hokuspokus wird die Körper- und Geisteshaltung während des „stillen Sitzens“ in einfachen Worten erklärt. Die Übersetzung wurde von mir gegliedert und mit Erläuterungen versehen. Fehler im Verständnis gehen zu ausschließlich zu meinen Lasten.

A. Krause


I. Einführung

Seiza ist eine spezielle Methode zu sitzen, die in der Kunst des Iai-Dõ weit verbreitet ist, aber auch als Psychotherapie verwendet wird. Die Übung des Seiza kann in das Training der Kampfkunst eingebunden sein, aber auch unabhängig davon durchgeführt werden.

„Stilles Sitzen“ in der Seiza-Position kann helfen, die Ängste der eigenen Existenz und die diesen zugrundeliegende Furcht vor der eigenen Vergänglichkeit hinter sich zu lassen[3]. Seiza ist ein ausgezeichnetes Mittel, um die Körperfunktionen zu normalisieren. Das Wesen der Übung besteht darin, die Welt so zu sehen wie sie wirklich ist, statt ständig in unserer Vorstellung wie die Welt nach unseren Wünschen sein sollte zu verweilen. Anders gewendet: Seiza ist eine Methode die Illusionen unseres Alltags zu durchschauen. Beim stillen Sitzen werden die endlosen Ketten von Gedanken, die für die eigene innere Unruhe verantwortlich sind, durchbrochen und der klare Wind des gegenwärtigen Augenblicks, so wie das Leben tatsächlich ist, weht uns entgegen[4].

II. Die Haltung des Körpers

Um die Seiza-Position einzunehmen, geht man mit geöffneten Knien in die Hocke und setzt dann das linke Knie auf den Boden. Das rechte Knie wird ungefähr zwei Faustbreiten daneben abgelegt[5]. Anschließend legt man die noch aufgestellten Füße flach auf den Boden, so dass die großen Zehen übereinander liegen. Abschließend wird das Gesäß auf die Hacken abgesetzt.

Der Rücken wird gerade gemacht und man neigt die Lendenwirbelsäule  leicht nach vorne, so dass die Wirbelsäule ihre natürliche S-Form einnehmen kann. Dabei muss man unbedingt vermeiden, dass die Lendenwirbelsäule nach hinten durchhängt oder Rücken insgesamt zu weit zurückgelehnt wird, da ansonsten schmerzhafte Muskelverspannungen entstehen. Das Gewicht sollte zwischen Füßen und Knien verteilt sein.

 Der Kopf wird aufrecht gehalten. Die Ohren befinden sich in einer Linie über der Schulter und die Nase richtet man über dem Gürtelknoten aus. Dadurch wird der Nacken minimal nach vorne geneigt. Im Iai-Do ist dies sehr wichtig, da dadurch seme (=Druck nach vorne) entsteht. Das Kinn wird ganz leicht eingezogen und der Nacken gleichzeitig gestreckt. Man hat das Gefühl, als ob der Kopf an den Haaren gerade nach oben gezogen wird.

Um den Körper auszubalancieren kreist man aus der Hüfte heraus leicht mit dem Oberkörper, wobei der Radius langsam verringert wird, bis man in der unbewegten Mitte zur Ruhe kommt. Die Zentrierung des Körpers ist wichtig um Muskelkrämpfe und –verhärtungen zu vermeiden.

Ein andere Methode, die richtige Position des Körpers zu finden besteht darin, sich vorzustellen, wie im inneren des Körpers ein Pendel von der Schädeldecke herunterhängt. Das Gewicht stellt man sich dabei in der Höhe des eigenen Tanden (Punkt ca. 3 Fingerbreit unter dem eigenen Bauchnabel) vor. Lehnt man sich zu weit vor oder zurück, so verlässt das Pendel die Körpermitte. Richtig ausgerichtet befindet sich das Gewicht in der vorderen Hälfte des Hara (= der Unterbauch zwischen den Hüftgelenken).

Die Schultern sind entspannt und die Arme fallen natürlich nach unten. Die rechte Hand wird mit der Innenfläche nach oben so auf die Oberschenkel gelegt, dass die Kleinfingerseite den Unterbauch berührt. Die linke Hand wird in gleicher Weise in die rechte Hand gelegt, die Daumenkuppen berühren sich ohne Spannung. Auf diese Art bilden Daumen und Finger eine ovale Form, kurz unterhalb des Nabels. Dieser Punkt wird Tanden oder auch Seika-Tanden genannt und entspricht in etwa dem Schwerpunkt unseres Körpers.

Die linke Hand über der rechten symbolisiert den ruhigen Pol (das Passive – „Sei“ oder „In“ auf japanisch), dass den aktiven Pol („Do“ oder „Yo“) bedeckt. Die Daumen vereinen die beiden Gegensätze. Das Tanden wird als das Zentrum des Seins angesehen[6], es ist vom Hara umschlossen. Von diesem Punkt aus wird nach japanischer Auffassung das Leben gelebt.

Teilweise werden verschiedene Variationen der beschriebenen Handhaltung benutzt[7], die beschriebene stellt aber die ausgeglichenste und entspannteste Methode des Sitzen dar.

Ohne den Kopf nach vorne fallen zu lassen, senkt man den Blick auf einen Punkt ungefähr einen Meter vor den eigenen Knien. Die Nase sollte im Sichtfeld sein, ansonsten hat man den Kopf nach vorne fallen lassen. Diese Blickhaltung hilft die Augen halb zu schließen und somit die meisten störenden visuellen Eindrücke auszuschalten, ohne aber schläfrig zu werden.

Die Zunge liegt am Gaumen an und wird leicht gegen obere Zahnreihe gepresst. Die Kiefer liegen locker aufeinander. Die Luft wird aus dem Zwischenraum zwischen Zunge und Mundraum herausgesaugt. So stoppt man die Speichelproduktion – man muss nicht schlucken.

III. Die Atmung

Die Atmung stellt einen der wichtigsten Aspekte der Übung dar. Sie wird auf ganz spezielle Art und Weise ausgeführt. Die alten Taoisten glaubten, dass der Atem das Leben selbst sei und jeder Person eine bestimmte Menge an Atemzügen zur Verfügung steht. Aus diesem Grunde wurde ruhiger, langsamer Atem als Garant für ein langes Leben angesehen.

Man atmet ruhig und ohne Spannung zum Solar-Plexus[8] ein. Der Bauch dehnt sich dabei nach vorne aus, während der Oberkörper sich ohne jegliche Muskelanspannung weitet. Die Schultern sollten sich dabei überhaupt nicht bewegen. Allerdings sollten sie auch nicht künstlich heruntergedrückt werden. Man überlässt sie einfach der Schwerkraft.

Die Einatmung endet ganz natürlich, wenn die Lungen gefüllt sind und es nicht weiter geht. Der Atem selbst bestimmt den Wechsel zur Ausatmung. Die Ausatmung sollte noch sanfter als die Einatmung sein. Man sollte dabei kein Geräusch erzeugen, sondern einfach nur ausatmen, indem man den ausgedehnten Bauch in sich zusammenfallen lässt. Die Ausatmung wird dabei solange fortgesetzt, bis man das Verlangen nach Einatmung verspürt, der Wechsel geschieht wiederum automatisch und natürlich. Während des Atemzyklus sollte man darauf achten, dass der Bauch nicht zu lasch wird, vielmehr bleibt die Bauchmuskulatur in ihrer natürlichen Spannung. Auf keinen Fall sollte sie aber künstlich gespannt werden.

Den Atemrhythmus darf man nicht erzwingen. Mit fortgesetzter Übung wird er sich vielmehr ganz von selbst verlangsamen. In einigen Fällen sinkt die Atemfrequenz auf zwei Atemzüge pro Minute. Man sollte sich dies aber nicht als Ziel setzen, sondern einfach nur ruhig und natürlich atmen.

IV. Die Geisteshaltung

Indem man dem natürlichen Rhythmus seiner Atmung folgt, fängt man an zunächst Ein- und Ausatmung innerlich zu zählen[9]. Mit steigender Konzentration wird nur noch die Ausatmung gezählt – immer von eins bis zehn. Kommt man dabei durcheinander, so fängt man einfach wieder von vorne an und kümmert sich nicht um die letzte Zahl. Diese ist nicht wichtig. Es kommt nicht darauf an eine bestimmte Zahl zu erreichen – einfach zählen.

Aufkommende Gedanken nimmt man zwar zur Kenntnis, man haftet aber nicht an ihnen. Vielmehr soll man sie einfach nur beobachten und ziehen lassen. Man darf ihnen nicht hinterherhängen. Auf keinen Fall sollte man versuchen irgendwelche Probleme zu lösen oder Argumentationen zu entwickeln. Statt dessen konzentriert man sich einfach bloß auf das Zählen. Alle Gedanken haben den gleichen Wert wenn man sitzt – gar keinen. Wenn man sitzt, dann sitzt man, einfach so ... . Man kehrt immer wieder zur Atmung zurück. Das gilt für alle störenden Gedanken, Halluzinationen, Panik, Furcht und andere Illusionen, die vielleicht aus dem Unterbewusstsein auftauchen. Einfach nur sitzen ...

Kommt der Strom der Gedanken langsam zur Ruhe, dann kann man aufhören zu zählen und man sitzt nur noch. Nehmen die Gedanken unsere Aufmerksamkeit wieder gefangen, so beginnt man einfach erneut mit dem Zählen.

V. Sonstiges

Die Übung entfaltet nur ihre volle Wirkung, wenn man sie regelmäßig wiederholt. Optimal sind jeweils 30 Minuten. Erst früh am Morgen und dann noch einmal abends. Am Anfang ist es allerdings fast unmöglich so lange durchzuhalten, da die Beine nicht flexibel genug sind und die Blutzirkulation ins Stocken gerät. Fangen die Beine an einzuschlafen, so dann kann man aus den Knien heraus die Hüfte anheben und so den Blutfluss wieder zulassen.

Das Einschlafen der Beine kann vermieden werden, wenn man eine zusammengerollte Decke zwischen Hüften und Hacken klemmt, um die Sitzposition zu erhöhen. Mit etwas Schmerz muss man im Seiza zwar rechnen, trotzdem dient die Übung nicht dem Test der Willenskraft, indem man versucht solange wie möglich durchzuhalten.

Idealerweise sitzt man in einem ruhigen Raum, mit geringer Beleuchtung und wenigen optischen und anderen Ablenkungen. Musik ist fehl am Platze, da Sinn der Übung gerade die Beseitigung von Zerstreuung und Ablenkung ist. Mit der Zeit ist man erfahren genug, um die Übung an beliebigen Plätzen durchzuführen. Lärm und andere Ablenkungen erreichen einen dann nicht mehr.

Nach dem Sitzen müssen die Beine aufgelockert werden. Dazu beugt man sich nach vorn und legt die Stirn auf den Boden. Die Hände werden mit der Innenfläche nach oben neben den Kopf gelegt und leicht angehoben. Diese Haltung symbolisiert Offenheit und Akzeptanz für alles, was diese Welt uns zu bieten hat. Verharrt man eine Weile in dieser Position, bevor man sich aufrichtet, dann kann man länger sitzen.

Es gibt unzählige Bücher zur Selbsthilfe und Meditation und ebenso viele (gefährliche) Gurus, die bereits sind (gegen ein Entgelt) geheime Methoden zur Heilung der Seele zu unterrichten. Aber alles was wirklich notwendig ist, ist ein Platz, an dem man in Ruhe gelassen wird und einige ruhige Atemzüge. Wenn man Unterstützung braucht, dann kann Seiza auch in der Gruppe geübt werden, dies ist aber nicht notwendig.

Einfach sitzen ... nur sitzen.


[1] Ausführliche Erläuterungen zu der engen Verbindung zwischen Zen und Budõ in Taisen Deshimaru-Roshi „Zen in den Kampfkünsten Japans“

[2] Werner Lind „Ostasiatische Kampfkünste – Das Lexikon“, Berlin 1995, S. 587f.

[3] Diese Geisteshaltung des Zen, die den Tod nicht fürchtet, machte diese Art von Geistesschulung für die Kriegerkasten Chinas und Japans attraktiv.

[4] Im Zen ist der Ausdruck „hier und jetzt“ von überragender Bedeutung.

[5] Maßstab für den Abstand der Knie ist die Breite der eigenen Hüfte. Der Abstand zwischen den Teilen der Knie, auf den die Last ruht, sollte der eigenen Hüftbreite entsprechen. Dies bietet die benötigte Stabilität.

[6] Tatsächlich befindet sich dort nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die größte Ansammlung von Nervenzellen außerhalb von Gehirn und Rückenmark.

[7] Die beschriebene Handhaltung wird im Zen „weder Berg noch Tal“ genannt und geht auf den meditierenden historischen Buddha Sidharta Gautama (563 v. Chr. bis 483 v. Chr.) zurück. Im Karate-Dõ ist die beschriebene Handhaltung eher unüblich. Bei den Übungen zu Beginn und Ende der Übungsstunde ruhen die Arme auf den Oberschenkeln. Die Ellenbogen fallen natürlich nach innen und sind nicht nach außen gestellt. Übt man für sich ist man freilich daran nicht gebunden.

[8] Das Nervengeflecht kurz unterhalb des Brustbeins.

[9] Statt der Methode den Atem zu zählen ist auch die ausschließliche Konzentration auf die Atmung bekannt. Die Zählmethode ist allerdings für Anfänger gut geeignet.

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