Tora no maki - Der Tiger als Symbol des Shotokan-Stils

Shoto bedeudet "Pinienrauschen" - mit diesem Pseudonym unterzeichnete Funakoshi-sensei seine Kalligrafien

© 2002 A. Krause

Letzte Aktualisierung: Sonntag, 12. Januar 2003

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u.a. Karate-Dô, Shotokan, JKA-Karate.
Grundsätzliche Fragen zu unserer Kampfkunst.

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u.a. Gichin Funakoshi, Masatoshi Nakayama. 
Die wichtigsten Meister in der Tradition des Shotokan-ryu.

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Das Training grundliegender Fertigkeiten.

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Ein in der Karate-Welt sehr umstrittenes Thema ist die Frage nach dem Sinn und Nutzen von Wettkämpfen.

Geschichte

Während die Geschichte des Karate-Dõ als Kampfkunst jahrhundertealte Wurzeln hat, ist die Durchführung von sportlichen Vergleichen in dieser Disziplin viel jüngeren Datums.
Gegen den Willen ihres "Ehrenvorsitzenden" Funakoshi-sensei (dieser Titel wurde dem "Vater des modernen Karate" von vielen verschiedenen Gruppierungen verliehen, ohne dass dies bedeuten würde, dass er in einer besonderen Beziehung zu diesen stand!), führte die JKA erstmals 1956 eine alljapanische Meisterschaft durch. Vorausgegangen war die Entwicklung des Jiyu-kumite (freien Kämpfens) in Japan zwischen den Weltkriegen. Während die Entwicklung des Jiyu-kumite sich im wesentlichen aus der Adaption des okinawanischen Karate als nunmehr japanische Kampfkunst erklären lässt, fand die Entwicklung des sportlichen Wettkampfes offensichtlich im Hinblick auf die angestrebte internationale Verbreitung des Karate-Dõ statt.

Im Ursprungsland Okinawa kannte man nur die Übung der Kata und deren Anwendung, sowie das Training am Makiwara, dem hölzernen Schlagpfosten. Entsprechend stießen die Entwicklungen in Japan dort anfangs nur auf Verachtung und Spott (Trotzdem gibt es heute viele okinawanische Stile, die auch Wettkämpfe abhalten). 
Soweit es auf Okinawa zu Zweikämpfen kam, hatten diese nicht den Charakter von fairen Vergleichen, sondern vielmehr von Duellen auf Leben und Tod.

Ebenso lehnten viele japanische Schüler  Funakoshi´s den Wettkampf ebenfalls ab, ohne sich aber dem Jiyu-kumite zu verschliessen, so u.a. Shigeru Egami der legitime Nachfolger Funakoshi-sensei`s als "chief instructor" des Shotokan genannten Dojo in Tokio und die ihm folgende Shotokai-Gruppierung.

Die unterschiedlichen Positionen

Im Zuge der weltweiten Verbreitung. anfänglich durch die JKA und später auch durch anderer Meister und Verbände wurden diese gegensätzlichen Positionen in der Welt verbreitet. 
Im Zuge der Entwicklung lassen sich drei unterschiedliche Standpunkte im Hinblick auf die Zulassung von Wettkämpfen isolieren:

  1. Die klassische (orthodoxe) Strömung
    lehnt weiterhin die Durchführung von sportlichen Wettkämpfen als mit dem Charakter des Karate-Dõ als Kampfkunst unvereinbar ab. Im Mittelpunkt des Trainings steht nach wie vor die Übung der Kata und deren Anwendung.
  2. Die traditionelle (japanische) Strömung
    folgt der Linie Nakayamas und der JKA. Wettkämpfe werden als ein Bestandteil des Karate unter mehreren angesehen.
    Der Erfolg im Wettkampf wird als Ergebnis des harten Trainings in Kihon, Kata und grundliegenden Kumite-Formen angesehen (siehe auch das Interview mit Safar-sensei).
    Im Jiyu-kumite wird die Entscheidung mit der einen, alles entscheidenden Technik gesucht (Ippon), die sich neben perfekter Distanz und Timing insbesondere durch das Vorhandensein von Kime auszeichnet.
  3. Die sportliche Richtung
    sieht den Wettkampf als Mittelpunkt des Karate an. Es werden in den Disziplinen Kata und Kumite jeweils Spezialisten herangebildet, deren Training einzig und allein auf den Wettkampferfolg ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt des Jiyu-kumite steht die Erzielung von Punkten, diesem Ziel wird der Aspekt der Perfektionierung der Technik und insbesondere des Kime untergeordnet. Das Ippon-Prinzip wurde zugunsten von Drei-Punkt-Kämpfen fallengelassen. Neueste Tendenz ist wohl die Einführung eines Rundensystems, so wie es im Boxen und Kickboxen üblich ist.

Gefahren

Bei nüchterner Betrachtung lassen sich in der Tat viele Gefahren für die Entwicklung des Karate an sich ausmachen:

Wer sich einem Karate-Wettkampf und insbesondere einem Kumite-Wettkampf stellt, der muss sich zunächst zuallererst darüber im Klaren sein, dass er sich und seine Gesundheit einer großen Gefahr aussetzt. Denn Karate ist eine Kampfkunst, bei der erhebliche Kräfte freigesetzt werden, die wenn sie unkontrolliert eingesetzt werden erhebliche Verletzungen hervorrufen können. Durch langandauerndes am Leistungssport orientiertes "Wettkampftraining" setzt man seine Gelenke im übrigen einem  überdurchschnittlichen Verschleiß aus.  
Sicherlich kann ein Wettkampf für einen jungen athletischen Menschen ein motivierendes Erlebnis sein. Bei einem weniger talentierten oder älteren Karateka, kann die Wirkung aber gerade entgegengesetzt sein. Die Betonung des Wettkampfes als Schwerpunkt des Karate würde solche Menschen eher abschrecken. 
Ein weiteres Problem ist die Realitätsferne der Wettkampfsituation. Sie hat nichts mit Selbstverteidigung zu tun, da beide Kontrahenten auf den Kampf vorbereitet sind und sich mit gleichen Waffen gegenüberstehen. Da in dieser Art von "Duell" nicht zugelassen werden kann, dass der Kampf bis zum letzten geführt wird und eine eindeutige Entscheidung den Sieger bestimmt, werden die Aktionen durch Schiedsrichter bewertet. Jeder, der einmal an einem Kumite-Shiai teilgenommen hat, wird wissen, wie "ungerecht" solche subjektiven Entscheidungen sein können. Nun ist es in Karate-Kreisen auch kein Geheimnis, dass es mit der Unparteilichkeit vieler Schiedsrichter nicht so weit her ist ... . 
Der zählbare "Punkt" tritt an die Stelle der alles entscheidenden Technik. "Ikken hissatsu" - "mit einem Schlag töten" war ursprünglich der Mythos des Karate. Dieses Ideal der "Einen" Technik erfordert das perfekte Zusammenwirken von Reaktion, Timing, Distanz und Kime. In vielen Karate-Wettkämpfen hat sich aber hingegen das sogenannte "Punkte-denken" durchgesetzt. Egal wie, Hauptsache der Gegner wird getroffen. Dies führt dazu, dass die Geschwindigkeit mit der die Technik zum Ziel geführt wird eine herausragende Position erhält. Der Einsatz des (langsameren) ganzen Körpers wird zugunsten der (schnelleren) Extremitäten vernachlässigt. Die Idee des Kime geht verloren.

Auch im Kata-Wettkampf sind vergleichbare Gefahren für die Entwicklung des Karate erkennbar: Die Kata diente ursprünglich gerade der Herausbildung der körperlichen Voraussetzung, um die eine, alles entscheidende Technik ausführen zu können. Dazu bedarf es eines tiefen Verständnisses für Bedeutung und Ausführung der einzelnen Elemente einer Kata. "Hito kata sannen" - "Eine Kata drei Jahre" lautete ein Motto für die Übung der Kata auf Okinawa. Die Vorführung einer Kata vor einem Publikum und vor Kampfrichtern hat die Ausübung der Kata in den Jahren seit Einführung von Wettkämpfen maßgeblich verändert. Die Kata-Vorführungen wurden schneller, dynamischer, athletischer und theatralischer. "Höher - schneller - weiter" lautet scheinbar ein Motto.

Doch die Hauptgefahr für die Entwicklung des Karate ist eine ganz andere: 

"Oberstes Ziel in der Kunst des Karate-Dõ ist nicht Sieg oder Niederlage, sondern die Vervollkommnung des eigenen Charakters"

So formulierte es einst Nakayama-sensei, der Begründer der JKA und einer der wesentlichen Förderer des Karate-Wettkampfes. Die Vervollkommnung des eigenen Charakters bedeutet in den Kampfkünsten seit jeher, dass man sich selbst - seinem Ego - auseinandersetzt. Im Budo ist der eigentliche Feind unser eigenes  schwaches Selbst, mit all seinen Schwächen und seiner Unvollkommenheit. Durch hartes, entbehrungsreiches und manchmal auch schmerzhaftes Training können wir Erfahrungen über uns selbst sammeln.

Auf der anderen Seite steht die Idee des Sports, das heißt, des Vergleichs mit anderen. Wer sich erfolgreich mit anderen vergleicht läuft Gefahr, diesen Erfolg misszuverstehen und sich selbst gegenüber anderen nicht so talentierten Menschen zu überhöhen. Das Ego wird nicht bekämpft, sondern vielmehr gefördert. Die den Kampfkünsten eigenen moralischen Werte, die in der Etikette zum Ausdruck kommen, sind dann bedeutungslos. Wettkampfgehabe tritt an ihre Stelle.

Auswertung

Nach der ganzen Aufzählung von Gefahren könnte man zu dem Schluss gelangen, dass Wettkämpfe den Zielen des Karate-Do genau entgegengesetzt sind und daher vollkommen abzulehnen sind.
Dieser Schluss ist aber von mir nicht gewollt. Vielmehr kann die genaue Kenntnis von den möglichen negativen Auswirkungen helfen, Wettkämpfe zum Wohle des Karate zu benutzen.

Es lassen sich sehr wohl positive Aspekte isolieren:
Die Ausübung einer Kampkunst bedeutet die Auseinandersetzung mit physischer und psychischer Gewalteinwirkung. Beide Arten von Angriffen können uns nicht nur körperlich verletzen, sondern vielmehr auch geistig aus der Bahn werfen. Der letztgenannte Stress, der für uns in einer realen Konfliktsituation entsteht, kann uns lähmen, zu Fehlern verleiten oder gar in Panik stürzen. Während sich die Auswirkung körperlicher Aggression in Kumite-übung im Training leicht simulieren lässt, ist dies für den physischen Stress ungleich schwieriger. Auf Okinawa war es nicht gerade unüblich, die eigenen Techniken an betrunkenen Raufbolden auszuprobieren und sich somit Gewissheit zu verschaffen.
Solche Methode sind aber hierzulande moralisch zweifelhaft und außerdem sogar strafbar. Einziger Ausweg sind künstliche Stresssituationen. Die Teilnahme an einem Wettkampf (ebenso wie eine Prüfung) kann einen Ersatz darstellen. Im Mittelpunkt steht dann nicht das Erreichen der nächsten Runde, sondern die Frage: Wie reagiere ich auf Stress?
Kann ich meine Kata unbeeindruckt von den äußeren Umständen aufführen? Lasse ich mich von meinem Gegner im Kumite beeindrucken oder kann ich mich ganz auf den Kampf konzentrieren?
So verstanden sind Wettkämpfe eine Auseinandersetzung mit dem Stressfaktor! Natürlich empfindet es jeder als befriedigend, einen Kampf zu gewinnen, eine Runde weiterzukommen oder gar als Sieger auf dem Treppchen zu stehen. Dies ist aber nicht das Wesentliche! Wenn man seine innere Einstellung testet, muss man für jede Niederlage dankbar sein. Etwaige "Fehlentscheidungen" von Schiedsrichtern können uns nicht berühren, da sie unsere Zielsetzung nicht gefährden können!
Wenn es nicht mehr primär um das Erzielen von Punkten und Gewinnen von Kämpfen geht, braucht man auch kein spezielles Wettkampftraining. Wettkampf ist ein Nebenprodukt. Die Leistungen, die dafür notwendig sind, fallen natürlich im alltäglichen Training von Kihon, Kata und Kumite ab.

Dieses Verständnis von Wettkampf erlaubt die Durchführung von hochkarätigen Veranstaltungen, die dem Karate äußerst förderlich sein können. Dafür bedarf es aber, wie Safar-sensei in seinem Interview bereits sagte dem Zusammenspiel von Aktiven, Instruktoren und Kampfrichtern. Gerade die Instruktoren entscheiden nicht selten darüber, ob ihre Schützlinge den Blick nach "innen" auf sich selbst richten oder aber vom Ehrgeiz verzehrt werden. Die Aufgabe der Kampfrichter ist es der Versportlichung entgegenzuwirken, sich nicht vom "höher - schneller - weiter" leiten zu lassen. Darüber hinaus sollten sie gesteigerten Wert auf die Einhaltung der Etikette legen, den Respekt vor dem Gegner zu fördern.

So gesehen macht es wenig Sinn, Karate-Wettkämpfe gänzlich abzulehnen. Denn so sind sie tatsächlich eine Bereicherung und Ergänzung für das tägliche Training. 

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